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Eröffnung: Fr, 01.03.2024 | 20 Uhr
Großer Saal
02.03.2024 - 28.04.2024

Sunseekers or Dimming the Sun or

Eröffnung: 01.03.2024, 20:00


Unter der schimmernden Sonne in einem kleinen Dorf in Albanien entfaltet sich eine Szene, in ihrer Einfachheit fast hypnotisch. Eine ältere Frau steht mit einem Eimer Wasser in der Hand vor einem Haus, Touristen gehen vorbei. Mit einer bedachten Bewegung schüttet sie das Wasser auf den Boden, der Strahl wölbt sich elegant, bevor er auf die Oberfläche auftrifft. Dies könnte wie eine bloße Eigenart des alltäglichen Lebens erscheinen oder eine Möglichkeit, den Staub zu benetzen oder den trockenen Boden zu kühlen. Die Handlung der Frau ist jedoch nicht willkürlich, sondern ein ritueller Abschied, eine Balkantradition, bei der abreisenden Gästen Wasser hinterher geleert wird, mit dem Wunsch, dass sie bei ihrer Rückkehr einen geebneten Weg vorfinden und es symbolisiert auch die Hoffnung, dass sie, wie das Wasser, ihren Weg zurück nach Hause finden. Die in dem Videoloop festgehaltene Szene von Vasilis Papageorgiou eröffnet seine Ausstellung Sunseekers or Dimming the Sun or und lädt uns ein, über die kapitalistischen Vergnügungssysteme, ihre Rolle in der zyklischen Erschöpfung der Ressourcen unseres Planeten und den Kreislauf, die diese in Bezug auf das Bedürfnis nach Ruhe und Regeneration erzeugen, nachzudenken.

Im Kern navigiert die Ausstellung Sunseekers or Dimming the Sun or durch zwei unterschiedliche Diskurse, wie der Titel bereits andeutet. Den typischen „Sunseekers“ (Sonnenhungrige) der Tourismusindustrie – jene, die der Wärme nachjagen und dem Versprechen endlosen Vergnügens unter der Sonne folgen – wird die Idee des „dimming the sun“ gegenübergestellt, die im Lexikon der Klimakrise als drastische Maßnahme zur Abkühlung der Erde zu finden ist.[1] Papageorgious Entscheidung, den Ausstellungstitel mit einem zusätzlichen „or“ zu unterstreichen, deutet auf die Möglichkeiten jenseits dieser Dichotomie hin und schlägt eine Erforschung von Alternativen vor oder ist vielleicht eine offene Frage in die Zukunft, die wir gemeinsam gestalten. In diesem spekulativen Raum findet die Ausstellung ihren Ausdruck.

Inmitten einer Reihe gelber[2] Metall-Sonnenliegen, die den Ausstellungsraum füllen, zieht eine besonders die Aufmerksamkeit auf sich. Auf dieser Sonnenliege befindet sich ein kleiner Bildschirm, der uns in einer Videoschleife in ein städtisches Szenario versetzt, das in starkem Kontrast zur zu erwartenden Strandlandschaft steht. Es versetzt die Betrachter:innen zum Place des Vosges in Paris, wo Kinder während einer Hitzewelle in einem Springbrunnen spielen. Man kann spekulieren, ob sich dies zu einem zukünftigen Ritual entwickeln könnte; ein Ritual, das bei steigenden Temperaturen aus der Notwendigkeit entsteht und den Wunsch nach einem Paradigmenwechsel von Entwicklung und Fortschritt verdeutlicht, nach einer Welt, die kühler, ausgewogener und harmonischer im Umgang mit unserer Umwelt ist.

Typische Treffpunkte wie Springbrunnen und Strände bringen Menschen zusammen. Obwohl sich beide Räume in ihren Elementen unterscheiden, dienen sie dem Gemeinschaftsgefühl, in dem soziale Interaktion und Zugehörigkeitsgefühl gefördert werden. Während Springbrunnen Passanten einladen, innezuhalten und zu reflektieren, auch um die Schönheit des Wassers in seiner kontrollierten Eleganz zu beobachten, bieten Strände eine Begegnung mit Fremden und ein Gefühl der Entspannung durch weite Horizonte und rhythmische Wellen. Das Design der Sonnenliegen und die des Springbrunnens am Place des Vosges führen einen stillen Dialog über Freizeit, Natur und menschliches Eingreifen. Die durch Papageorgiou in Objekte der Betrachtung verwandelten Sonnenliegen reflektieren den Kreislauf der Freizeit, ihre Auswirkungen auf die Umwelt und ihre Erschöpfung. Für eine der Sonnenliegen verwandelt Papageorgiou ein Handtuch, ein Gegenstand, der als vergessenes Überbleibsel des Tages unter der Sonne zurückgelassen wurde, in eine Skulptur. Es in Kupfer zu wickeln, hebt einen alltäglichen Gegenstand auf die Stufe eines Kunstwerks und deutet auf eine Neubewertung hin – so wie Brunnen das alltägliche Element Wasser in eine Quelle der Kontemplation verwandeln. Auf einer weiteren Sonnenliege steht eine einsame Blume. Sie ist Zeugnis für den Zusammenhang zwischen der Belastung der Natur durch den Tourismus und ihrer Widerstandsfähigkeit. Eine andere Sonnenliege mit einer geöffneten Schublade, in der sich eine Zeitung befindet, die eine „Rückkehr zu den Sternen“ verkündet, ist ein metaphorischer Tauchgang in den Kosmos, der das Globale dem Intimen gegenüberstellt. Die Anwesenheit von Bronzeskulpturen rund um diese Sonnenliege spricht von der Vergänglichkeit menschlicher Errungenschaften, ein Thema, das auch im fließenden Wasser des Springbrunnens mitschwingt; es scheint immer gleich zu sein, obwohl es immer im Wandel ist und immer vorwärtsstrebt. Die fünfte Sonnenliege schließlich zeigt einen runden Marmortisch und einen gegossenen Bronze-Ring. Der Marmor, aus den Tiefen der Erde gewonnen, und der Ring, ein transformiertes Stück Plastik, sprechen erneut von den Zyklen der Wertumwandlung. Die Sonnenliegen werden in ihrer bewussten Komposition zu „or“-Räumen, in denen das Licht der Freizeit auf den Schatten der umweltbezogenen Auswirkungen des Tourismus trifft; sie regen uns an, über unseren Platz zwischen dem Verlangen nach Vergnügen und den Konsequenzen für unseren Planeten nachzudenken.

 

Ein letztes Element der Ausstellung ist die immaterielle Form eines fragmentierten Klangraums. Ein klanglicher Faden, der sieben Stunden lang Klang und Stille zusammenführt, macht jeden Zuhörer zum Reisenden, der sich mit dem vergehenden Tag und den Öffnungszeiten der Ausstellung synchronisiert. Das Stück basiert auf dem Klang einer Klarinette – einem Instrument, das von den Roma aus deutsch-österreichischen Regionen auf den Balkan und nach Griechenland mitgenommen wurde. Der Klangraum regt zum Nachdenken darüber an, wie so etwas Einfaches wie ein Musikinstrument von einem Ort zum anderen zu tragen, Geschichten über Migration und Anpassung einfangen kann. Es verkörpert den fließenden Übergang kultureller Identität und den Übergang von Traditionen über Grenzen hinweg und zeigt, wie Kulturen musikalische Einflüsse aufnehmen und sie in etwas einzigartig Eigenes umformen. Während der Tag schwindet, dehnt sich der Klang aus, dringt in die Bereiche der Erinnerung vor, wobei jedes Fragment sichtbare oder unsichtbare Orte hervorruft. So fühlt sich „Sunseekers or Dimming the Sun or“ an: ein Gespräch über Raum und Zeit hinweg, zusammengehalten von den Noten einer Klarinette, die mehr von der Welt gesehen hat, als die meisten von uns jemals sehen werden.

 

—Mirela Baciak


[1] Der Begriff „Dimming the Sun“ stammt aus dem wissenschaftlichen Diskurs über das Solar Radiation Management (SRM) – eine Geo-Engineering-Lösung, die den Klimawandel durch künstliche Abschwächung der Sonneneinstrahlung eindämmen soll.

[2] Die Sonnenliegen wurden mit der Farbe 3034 Sun Yellow bemalt.

 

Credits:
Kuratorin: Mirela Baciak
Sounddesigner: Dimitris Prokos
Studio Koordinator: Mariana Antzoulatou
Schmiedewerkstätte: Thanos Vasileiou & George Frantzoglou
Kupferbearbeitung: Dimitris Philippakis
Marmorbearbeitung: Earth Marbles by Malevitis
Keramiker: Daphne Leon
Vielen Dank an Olympia Tzortzi (Callirrhoë), Paola Bonino & Marta Barbieri (UNA Galleria).

Die Ausstellung wurde vom Salzburger Kunstverein in Auftrag gegeben und produziert.

 

Vasilis Papageorgiou (*1991, Athen, Griechenland) ist ein in Athen lebender Künstler. Seine Arbeiten wurden in namhaften Ausstellungen gezeigt, darunter die 7. Athen Biennale - Eclipse (2021), im Benaki Museum (2019), in der Stavros Niarchos Cultural Foundation (2019) und dem MAXXI - National Museum of 21st Century Arts (2019). Er nahm unter anderem auch an der 6. Internationalen Biennale für junge Kunst in Moskau (2018) teil. Darüber hinaus ist Papageorgiou Mitbegründer von Enterprise Projects, einer 2015 gegründeten Initiative und einem Projektraum in Athen, der sich auf die Zusammenarbeit von Künstler:innen und Kurator:innen konzentriert.

 

Bild ganz oben: Vasilis Papageorgiou, Sunbed IV (double), 2024, lackierter Stahl, 213 x 120 x 82 cm, courtesy of the artist. Ausstellungsansicht Vasilis Papageorgiou, Sunseekers or Dimming the Sun or, Salzburger Kunstverein 2024, Foto: kunst-dokumentation.