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Eröffnung: Fr, 16.05.2025 | 20 Uhr
Studio Space
17.05.2025 - 06.07.2025

Tania Gheerbrant „Social Insecurity“

In Social Insecurity inszeniert Tania Gheerbrant eine materielle Auseinandersetzung mit der langen Geschichte psychischer Gesundheit als Instrument sozialer Kontrolle. Indem sie Verbindungen zwischen den Hexenverfolgungen im frühneuzeitlichen Europa, der Entstehung psychiatrischer Institutionen und der systematischen Unterdrückung marginalisierter Gemeinschaften heute zieht, untersucht ihre Ausstellung, wie Vorstellungen von „Normalität“ stets politischen Zwecken dienten – und weiterhin die prekären Architekturen von Solidarität prägen.

Der Bezug auf Thomas Szasz’ Kritik an der psychiatrischen Macht bildet den Rahmen der Ausstellung, doch Gheerbrant geht über seine Schriften hinaus und aktiviert eine lebendige Geschichte. Anstatt Archive als statische Aufbewahrungsorte zu betrachten, nutzt sie sie als Rohmaterial: Buchseiten für skulpturale Lampen, Texturen für Wandbilder, Verse für gemeinsames Lesen. Ihre Methode verweigert den klinischen Blick und setzt stattdessen Geschichten des Widerstands jener, die als „verrückt“ abgestempelt wurden, neu zusammen.

Im Mittelpunkt der Ausstellung steht eine Videoarbeit, die zeitgenössische Interviews mit Betroffenen und die Lesung von Gedichten aus Veröffentlichungen von Aktivisten für psychische Gesundheit miteinander verknüpft. Diese Stimmen widersetzen sich der vereinfachenden Logik der Diagnose. Stattdessen artikulieren sie eine Politik und Poetik der Erfahrung und legen nahe, dass Solidarität keine Wohltätigkeit ist, sondern das gemeinsame Erschaffen neuer sozialer Formen.

Beim Betreten der Ausstellung begegnen die Besucher:innen einem Wandgemälde im schwachen Licht – Silhouetten vertrauter Figuren, von der offiziellen Geschichtsschreibung halb vergessen. Die aus Archivdrucken gefertigten Blumen, die DIY-Ästhetik von Zeitungen, die tastbare Sichtbarkeit von sonst verborgenen oder bereinigten Geschichten: Durch die Reaktivierung des Ausrangierten und Übersehenen besteht Gheerbrant auf Formen des Erinnerns, die nicht nur illustrativ, sondern auch widerständig sind.

Während sich Staaten zunehmend auf privatisierte, individualisierte Modelle der Fürsorge zurückziehen und neue Formen des Autoritarismus in den Alltag eindringen, stellt Gheerbrant in Social Insecurity die unverblümte Frage: Wer wird das nächste Mal stillschweigend sterben gelassen? Indem sie Kontinuitäten zwischen Hexenverfolgungen, faschistischen psychiatrischen Missbräuchen und heutiger „verwalteter“ Unsicherheit nachzeichnet, macht sie deutlich: Es steht nicht nur die psychische Gesundheit auf dem Spiel, sondern die grundlegenden Bedingungen des kollektiven Lebens selbst.

Eröffnung: 16.05.2025, 20:00 Uhr

Kuratiert von Mirela Baciak.

Die Arbeiten von Tania Gheerbrant (*1990, Paris), die auf langfristigen Recherchen beruhen, nehmen vor allem in Form von Installationen, Videos und Drucken Gestalt an. Ihr besonderes Interesse gilt der Geschichte der psychiatrischen Einrichtungen und der Anti-Psychiatrie-Bewegung. Indem sie eine filmische, visuelle und grafische Praxis entwickelt, setzt sie ihre Forschungen über Zuhören und Pflege in plastische Formen um. Sie hat ihre Arbeiten in verschiedenen Institutionen ausgestellt, darunter Palais de Tokyo, Frac Bretagne, Bally Foundation, Salon de Montrouge, Cité internationale des Arts und Panacée MoCo.

Bild ganz oben: Ausstellungsansicht Tania Gheerbrant, „Social Insecurity“, 2025. Courtesy of the artist. Foto: kunst-dokumentation.

Ausstellung konzipiert in Zusammenarbeit mit Frac Bretagne, Rennes. Tania Gheerbrant ist die Gewinnerin des Frac Bretagne-Art Norac Award 2024.