Systems of Support. Jahresausstellung 2023
Einmal jährlich widmet der Salzburger Kunstverein seinen Mitgliedern eine Ausstellung und bietet ihnen die Gelegenheit ihre Werke auszustellen.
Die Ausstellung Systems of Support zielt darauf ab, Interdependenz zu erforschen. Diese Interdependenz beschränkt sich nicht nur auf menschliche Interaktionen, sondern erstreckt sich auch auf unsere Beziehungen zur weiteren Umwelt - einschließlich nicht-menschlicher Akteure, natürlicher Ressourcen und konstruierter Infrastrukturen. Die Ausstellung strebt danach, einen Diskurs über soziale Konnektivität als Knotenpunkt gemeinsam genutzter Ressourcen und kollektiver Ethik zu fördern. Wie unterstützt uns die Kunst? Und wie unterstützen wir im Gegenzug die Kunst?
Systems of Support fordert uns auf, nicht nur die greifbaren Unterstützungsstrukturen - wie Finanzierung und institutionelle Unterstützung - zu betrachten, sondern auch die immateriellen, wie Wissensaustausch und emotionale Nahrung. Kunst als System ist nicht isoliert, sondern tief in ihrer Umwelt verwurzelt und spiegelt die Dynamik der Welt wider, in der sie existiert. Sie kann als Spiegel dienen, der den Zustand unserer aktuellen Umwelt reflektiert, oder als Fenster, das Visionen alternativer Zukünfte bietet. Sie kann auch als Brücke fungieren, die disparate Ideen verbindet und ein Netzwerk der Solidarität fördert. Sie kann Verständnis fördern, indem sie Statistiken und abstrakte Konzepte vermenschlicht und nicht zuletzt kann Kunst auch auf eine Weise Empathie hervorrufen, wie es bloße Worte oft nicht können.
Die Kunstwerke und Aktivitäten innerhalb dieser systemischen Perspektive sind somit nicht nur Objekte ästhetischer Betrachtung, sondern Katalysatoren einer epistemischen Transformation.
Die selbstreflexive Haltung der Ausstellung - die ihre Rolle als Unterstützungsort für Künstler:innen hinterfragt - eröffnet Dialoge über die Natur der Unterstützung in der Welt im Allgemeinen. Sie fordert uns auf, nicht nur die Beziehungen zwischen Künstlern:innen, Institutionen, Publikum und der weiteren Gemeinschaft zu untersuchen, sondern auch über Nachhaltigkeit im Sinne der Aufrechterhaltung und Pflege des kreativen Ökosystems nachzudenken, das Kunst und Kultur ermöglicht. Im Schatten globaler Krisen entsteht Kunst als Raum der Widerstandsfähigkeit und Reflexion.
In praktischer Hinsicht kann Unterstützung durch Kunst in Form von kollaborativen Projekten erfolgen, die Dialog und Verständnis fördern. Es können Gemeinschaftskunstprojekte sein, die lokale Bevölkerungsgruppen in den Schaffensprozess einbeziehen und ihnen ein Gefühl von Agency und Eigentum an ihren Erzählungen geben. Es können auch öffentliche Kunstinitiativen sein, die gemeinsam genutzte Räume transformieren, um gemeinschaftliche Hoffnungen und Kämpfe widerzuspiegeln. Die Vorstellung des Systems, während sie Konnotationen von Hegemonie trägt, wird hier neu gedacht, um die Existenz pluralistischer Unterstützungsnetzwerke zu unterstreichen und eine ökologische Perspektive auf die Welt im Großen zu fördern.
Zu diesen Netzwerken gehört die Gruppe Blumenblock (flower brigade), die eine Sprache des künstlerischen Protests innerhalb eines lokalen Systems zu artikulieren sucht, dass außerhalb einer erfolgsorientierten, kommerzialisierten Kunstwelt operiert. Ihre erste Aktion umfasste das Erstellen von Papierblumen, um während eines weltweiten Klimastreiks einen „Blumenblock“ zu formen. Das in Salzburg verwurzelte Kollektiv trifft sich wöchentlich, um künstlerische Formen des Protests zu erkunden, und positioniert sich nicht als Symbol für eine Bewegung, sondern als eine Kunstbewegung selbst.
Das Zusammenspiel von feministischer Solidarität und Netzwerken als Unterstützungsstrukturen wird in den Zeichnungen von Anna Schachinger weiter erforscht. Schachingers Werke, wie „Wacheltuch“ und „Der Ananasaufguss“, vertiefen sich in das Konzept von Solidaritätsräumen und öffentlicher Intimität. Ihre detaillierten Darstellungen von Saunatreffen in der Gemeinschaft dienen als Metapher für kollektive Erfahrungen und geteilte Geschichten, im Einklang mit der Ausstellungserkundung von gemeinschaftlichen Unterstützungsstrukturen.
Die Ausstellung beherbergt auch das feministische Künstler:innennetzwerk EXTRA stark. Die Darstellung der Handflächen aller Netzwerkmitglieder:innen steht als abstrahierte Visualisierung von Vernetzungs- und Solidaritätsgesten. Dieses Netzwerk, das Künstler:innen zusammenbringt, die Zeit und Raum für gemeinsame Arbeit und Denken teilen, spricht gesellschaftliche blinde Flecken und Irritationen innerhalb einer patriarchal geprägten Gesellschaft an.
In dieser Richtung hinterfragt Luca Büchlers fortlaufende Serie, bestehend aus Schlüsselduplikaten von Ausstellungsinstitutionen und zugehörigen Schenkungsverträgen, Raumkonzepte – wie sie definiert, erfahren und besetzt werden. Büchlers Arbeit, tiefgründig mit der Zugänglichkeit, insbesondere für queere Personen, befasst, verkörpert den Geist der Ausstellung, indem sie die Wechselbeziehung zwischen Institutionen und Künstlern betrachtet.
Nicholas Hoffmans „Rebhahngasse 33“ ist ein Zeugnis der vergänglichen Natur von Räumen und Erinnerungen. Die Rekonstruktion eines abgerissenen Gebäudes aus der Erinnerung und dessen Umwandlung in eine tragbare Maske erforscht die Idee von Gebäuden als lebendigen Wesen mit Geschichten und Seelen und spiegelt den Schwerpunkt der Ausstellung auf das Zusammenspiel von physischen Räumen und menschlichen Erfahrungen wider.
Das Werk „Merci“ von Maja Spasova erscheint an verschiedenen unauffälligen Ecken des Raums. Spasova erstellt Zeichnungen, die Hände zeigen, die Texte in verschiedenen Sprachen halten, die sowohl Bitten als auch Dankbarkeit für Unterstützung ausdrücken. Anstelle von traditioneller bildender Kunst ähneln diese Zeichnungen minimalistischem Graffiti.
Alina Panasenkos „Outside the Quadrangle“ verwendet Fotografie und 3D-Druck, um das Konzept des persönlichen Raums im Kontext von kriegsbedingter Vertreibung zu erforschen. Ihre Arbeit, die die verschwommenen Grenzen des persönlichen Raums in Krisenzeiten untersucht, steht im Einklang mit dem Ausstellungsthema der Kunst als Reflexion und Reaktion auf die sich verändernden Dynamiken der Welt.
In Đejmi Hadrovićs Filmessay „NENA“ werden wir mit der persönlichen Geschichte von Nena konfrontiert. Durch die Linse einer Frau, die die Schrecken des Zweiten Weltkriegs und der jugoslawischen Kriege erlebt hat, webt Hadrović eine Erzählung, die die Arbeits- und Kapitalstrukturen einer von Konflikten zerrütteten Gesellschaft hinterfragt. Ihr Werk verkörpert den Fokus der Ausstellung auf Kunst als Medium zum Verständnis und Einfühlen in komplexe sozio-politische Realitäten.
Vika Prokopaviciutes Serie von Gemälden, darunter „Boiling Ultra“ und „Open“, fordert die Wahrnehmung des Betrachters mit ihren fließenden und dynamischen Kompositionen heraus. Ihre Arbeit, die etablierte Perspektiven hinterfragt und zur Kontemplation anregt, spiegelt den Schwerpunkt der Ausstellung wider, Kunst als Medium zur Erkundung und zum Verständnis verschiedener Sichtweisen zu nutzen.
Julia Haugeneders Installation „Das Rudiment auf dem Seziertisch“ ist ein eindrucksvoller Kommentar zur Vergänglichkeit physischer Objekte und ihrer symbolischen Bedeutungen. Das Werk, bestehend aus einem drehbaren Seziertisch mit einem Objekt aus Leim und Pigment, reflektiert über die Vergänglichkeit und die kontinuierliche Transformation von Objekten und Ideen, im Einklang mit dem Ausstellungsthema der Kunst als dynamisches und sich entwickelndes System.
Vanessa Schmidts „Beds, Scenes, and Notes“ bietet eine narrative Erkundung häuslicher Rituale und des Geschichtenerzählens. Ihre skulpturale Arbeit, die metaphorische Räume der Fürsorge schafft, steht im Einklang mit dem Ausstellungsthema der Kunst als nährende und transformative Kraft.
Andrea Zabrics fortlaufendes Projekt „tuta“ präsentiert eine Reihe von Künstleranzügen, die die Schnittpunkte von Kunst und Funktionalität verkörpern. Zabrics Ansatz, die Kleidung des Künstlers als Medium zu betrachten, reflektiert die praktischen und symbolischen Aspekte des Kunstschaffens und deutet auf eine tiefere Erkundung der Rolle des Künstlers in der Gesellschaft und der verschiedenen Elemente hin, die ihre Arbeit unterstützen und beeinflussen.
Miriam Stoneys „Deconstitution (Hitzenroth)“ verwendet provokativ einen Heizkörper und ein Online-Inserat, um die Kommerzialisierung von Künstlerkämpfen zu kritisieren. Dieses Werk exemplifiziert den Fokus der Ausstellung auf die Herausforderungen und Dynamiken der künstlerischen Produktion und den Wert der Unterstützung innerhalb der kreativen Gemeinschaft.
Robin Waarts „To Véra“ verwendet Spiegelvinyl auf Spiegeln im gesamten Ausstellungsraum und reflektiert die oft unsichtbare Arbeit und Hingabe hinter der künstlerischen Schöpfung. Diese Installation bringt das Ausstellungsthema, die verschiedenen Formen der Unterstützung zu erkennen und zu würdigen, die die Kunstwelt untermauern, in den Fokus.
Claudia Lomoschitz’ Videoarbeit „Health Investment“ erforscht die historische Bedeutung der Semmelweis-Klinik, einer Pionierinstitution für Frauengesundheit. Das Werk vertieft sich in die Transformation der Klinik im Laufe der Zeit und beleuchtet das prekäre Gleichgewicht zwischen öffentlicher Gesundheit und privaten Interessen, was mit dem Ausstellungsthema der Dynamik zwischen verschiedenen Unterstützungsstrukturen resoniert.
Manuel Tozzis „Studies in Motion“ ist eine faszinierende Erkundung der Interaktion zwischen Menschen und Robotern. Diese Serie von Videoaufnahmen hinterfragt die Natur von Zusammenarbeit und Fürsorge und spiegelt das Ausstellungsthema der sich entwickelnden Natur von Unterstützungssystemen wider.
Caroline Vitzthums „Wet [scape]“ ist eine immersive Installation, die sich auf die ökologische Bedeutung von Mooren konzentriert. Durch den Einsatz von Wasser und Rohschafwolle schafft Vitzthum einen Raum, der die Notwendigkeit des Umweltschutzes betont und im Einklang mit dem breiteren Thema der Ausstellung steht, Kunst als Mittel für ökologisches Bewusstsein und Unterstützung.
Bartholomaeus Wächters „Crowds“-Serie, ausgeführt mit Buntstift auf Papier, porträtiert die Anonymität und Einsamkeit innerhalb von Menschenmengen. Dieses Werk spiegelt das Ausstellungsthema der kollektiven Erfahrungen und des Platzes des Einzelnen in ihnen wider.
Abschließend betont Christine Lederers „Reiss dein Maul auf“ als performatives Werk, das Asche und Wandfarbe nutzt, die Bedeutung von Stimme und Solidarität beim Konfrontieren gesellschaftlicher Normen. Es ist eine eindringliche Erinnerung an die Rolle der Kunst bei der Förderung gesellschaftlichen Wandels und Bewusstseins.
Jede:r Künstler:in und jedes Kollektiv, das an Systems of Support teilnimmt, trägt zu einem gemeinsamen Diskurs über Solidarität und Commons bei – ein Wertesystem, das offen bleibt und gegenhegemoniale Beziehungen fördert. Diese Ausstellung ist auch eine bescheidene Erinnerung daran, dass angesichts globaler Krisen die revolutionärste Kunst eine der Unterstützung, Solidarität und des gegenseitigen Verständnisses sein kann.
– Mirela Baciak
Eröffnung: Freitag, 15. Dezember 2023, 20 Uhr
Performance Programm:
15.12.2023 21:00 REISS DEIN MAUL AUF von Christine Lederer
16.12.2023 ab 14:00 Wet[scape] von Caroline Vitzthum, performed von Lenz Farkas & Maite Dárdano
16.12.2023 17:00 Kunstauktion geleitet von Alexander E. Fennon
Preview Auktionskatalog Systems of Support
Künstler:innen: Blumenblock (flower brigade), Luca Büchler, EXTRA stark, Đejmi Hadrović, Julia Haugeneder, Nicholas Hoffman, Christine Lederer, Claudia Lomoschitz, Alina Panasenko, Vika Prokopaviciute, Anna Schachinger, Vanessa Schmidt, Maja Spasova, Miriam Stoney, Manuel Tozzi, Caroline Vitzthum, Robin Waart, Bartholomaeus Wächter, Andrea Zabric
Kuratorin: Mirela Baciak
Foto: Der Körper des Patroklos wird von Menelaos geborgen (Fragment). Römische Skulpturengruppe, Florenz.