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Eröffnung: Di, 18.07.2023 | 20 Uhr
Studio Space
19.07.2023 - 10.09.2023

Aideen Barry. The Song of the Bleeding Tree

Die irische Künstlerin Aideen Barry präsentiert im Kabinett Zeichnungen mit einer 2-Kanal-Videoinstallation mit 4-Kanal-Ton mit dem Titel The Song of the Bleeding Tree. Dieses immersive Kunstwerk, das auf die Wände und den Boden des Kabinetts projiziert wird, ist eine Szenografie der Fremdheit und der Trauer über unsere Beziehung zur natürlichen Welt und ein opernhafter Ausdruck, der bewusst in Salzburg angesiedelt ist, das im Sommer als europäische Hauptstadt der Oper bekannt ist.

Das geloopte Video zeigt einen Baum, der weint und Tränen vergießt, inmitten einer dunklen, purpurnen und apokalyptischen Landschaft. Der Film geht auf frühere Arbeiten der Künstlerin zurück und ist eine Erweiterung ihrer multimedialen Performance, Film- und Klanginstallation „Oblivion / Seachmalltacht / ᖃᐅᔨᒪᔭᐅᔪᓐᓃᖅᑐᑦ“. In Zusammenarbeit mit dem kanadischen Inuit-Performer RIIT ᕇᑦ, der irischen Harfenistin Aisling Lyons und der preisgekrönten Designerin und Hutmacherin Margaret O’Connor sowie Turlough O’Carolan, Cathal Murphy und Stephen Shannon, der die Musik arrangiert und komponiert hat, entstanden, setzt sich Oblivion mit der existenziellen Bedrohung des Planeten auseinander. In einer Zeit großer Unsicherheiten, des ökologischen Zusammenbruchs und der Aussicht auf eine Endzeit der Welt, untersucht Barry die Rolle der Kunst und der Künstler:innen. Das Leitmotiv „die letzte Generation von Künstler:innen zu sein“, zieht sich wie ein roter Faden durch dieses Kunstwerk. Dieser apokalyptische Popsong und die Performance verweisen auch auf die im 15. Jahrhundert reisenden Barden Irlands sowie auf die Zensur der irischen Musik unter der Kolonialherrschaft (Königin Elisabeths Verbot irischer Musik, bei dem z. B. Harfenspieler, die sich dem widersetzten, an den Saiten ihrer Instrumente an Bäumen aufgehängt wurden) und ziehen Vergleiche mit den kolonialen Gräueltaten, die die indigenen Völker in nachfolgenden Jahrhunderten erlebten. Das zentrale virale Motiv von Oblivion bezieht sich auf das vergiftende Auge von Balor, das mit dem Spektakel des hyperschnellen zeitgenössischen Kapitalismus und der Kryptowährungen verschmilzt. In der irischen Mythologie war Balor ein bösartiges übernatürliches Wesen mit einem großen Auge, das Zerstörung anrichtet. Er wurde als Personifizierung der sengenden Sonne interpretiert und mit Figuren aus anderen Mythologien verglichen, wie z. B. mit dem griechischen Zyklopen. Er war bekannt dafür, dass er ähnlich wie die gesamte Menschheit auf der Erde Chaos und Verwüstung anrichtete.

Auch The Song of the Bleeding Tree drückt Angst, Trauer und Wut über den Kollaps der Umwelt aus. Aideen Barry verbrachte viel Zeit im Irish Folk Archives des University College Dublin um zu recherchieren. Dort las sie unter anderem von der irischen Tradition, menschliche und tierische Nachgeburten auf die Wurzeln eines Weißdornbaums zu legen. Das Video zeigt einen blutenden und weinenden Baum, der das Leiden der Erde und ihrer Bewohner:innen gleichermaßen verkörpert. Bei ihren Recherchen stieß Barry auch auf Aufzeichnungen von Interviews, die Kinder mit älteren Generationen, darunter auch Überlebenden der Hungersnot, führten. Diese Personen erzählten ihre tragischen Erfahrungen und brachten zum Ausdruck, dass auch sie geglaubt hatten, die letzte Generation des irischen Volkes zu sein. Barry erforscht den Zusammenhang zwischen dieser großen menschlichen Tragödie und dem möglicherweise bevorstehenden ökologischen Kollaps und bezieht sich dabei sowohl auf die vorchristliche als auch auf die einheimische Folklore Irlands. In diesem Zusammenhang interessiert sie sich auch für die Ideen von Bracha Ettinger, einer israelischen Künstlerin und Philosophin, die von den Ideen von Freud, Lacan, Guattari, Lyotard und anderen beeinflusst ist und die die Ideen der Weitergabe matriarchaler Traditionen und anderer Formen alten Wissens als Gegenpol zu Kolonialismus, Kapitalismus und den Travestien des westlichen Fortschritts untersucht.

Die opernhafte Klanginstallation entstand in Zusammenarbeit mit dem Komponisten Stephen Shannon und ist von Zeilen aus dem UCD-Folklorearchiv beeinflusst, in denen es heißt: „you are cutting me ... Matrixial Legacies ... pages are the ghosts of trees past.“ Der Baum klagt und weint aufgrund seiner Existenz inmitten Prüfungen menschlicher Torheit und Tragödie. Der rote höhlenartige Raum, der diese Installation beherbergt, ist inspiriert von Barrys Faszination für Wunderkammern, dort wird Exotisches ausgestellt, hier Tragisches.

Aideen Barry lebt in Silver Mines, Tipperary in Irland, einem Gebiet, das von kanadischen Bergbauunternehmen ausgebeutet wurde. Diese Zerstörung hat bis heute Auswirkungen auf die Umwelt: Unmengen Arsen, mit denen im Land Gold, Silber und Kupfer abgebaut wurde, hinterlassen nachkommenden Generationen eine vergiftete Landschaft. Aufgrund dieser Vergiftung können sie und ihre Familie weite Teile der Landschaft rund um ihr Landhaus nicht mehr betreten. Das Thema der Umweltkatastrophe ist der Künstlerin also sehr nahe.

The Song of the Bleeding Tree ist ein Kunstwerk der Empörung und des Widerstands, entstanden aus vielfältigen kulturellen, mythologischen und persönlichen Bezügen und inspiriert von matriarchalen Vermächtnissen. Text von Séamus Kealy.

Ausstellung kuratiert von Séamus Kealy.

Aideen Barry (*1979) lebt und arbeitet in Irland, USA und Europa.
www.aideenbarry.com

Mit freundlicher Unterstützung von Culture Ireland.